Straffälligenhilfe zwischen marktwirtschaftlicher und staatlicher Steuerung

Fachwoche Straffälligenhilfe vom 22.-26.11.2004 in Bergisch-Gladbach

 

Strafvollzug ist eine teure, aber nicht immer wirkungsvolle Angelegenheit. Der finanzielle Aspekt dieser Feststellung dürfte ein Hauptmotiv dafür sein, dass die Überlegungen in Richtung mehr Privatisierung auch in Deutschland im Bereich der Justizvollzugsanstalten immer lauter werden und mit der ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt im hessischen Hünfeld auch Gestalt annehmen. Wenn im Zusammenhang mit staatlicher Sanktion von Privatisierung gesprochen wird, ist damit gemeint, dass eine nichtstaatliche Stelle Aufgaben übernimmt, die bisher durch staatliche Institutionen wahrgenommen wurden. Das kann durchaus die Freie Wohlfahrtspflege sein, kann aber auch ein tatsächlich „privater“ Anbieter sein, wie wir es aus dem benachbarten Ausland kennen. Die Firma Sodexho, die in Frankreich vier Gefängnisse betreibt, steht z.B. dafür.

Doch ist der geschlossene Vollzug nicht der einzige Bereich, in dem privatisiert wird. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass allmählich eine jahrelang herrschende Scheu auf beiden Seiten überwunden wird und immer mehr bisher unstrittig staatliche Aufgaben im Bereich der Justiz an freie Träger delegiert werden. Erste Erfahrungen aus zum Teil mehrjährigen Projekten liegen vor. Beispiele dafür sind der Vollzug von Jugendstrafen durch einen Jugendhilfeträger in Baden-Württemberg, die Debatte um die Privatisierung der Bewährungshilfe in mehreren Bundesländern oder die Durchführung des Maßregelvollzugs in psychiatrischen Einrichtungen der Diakonie. Die jahrelang eingespielte Rollentrennung: Der Staat fügt als Reaktion auf Regelverletzungen durch Sanktionen Übel zu, die Straffälligenhilfe mildert durch ihre Arbeit möglichst die persönlichen Härten ab, weicht auf.

Die zukünftige Entwicklung dürfte davon geprägt sein, dass staatliche Stellen sich auf das Kerngeschäft hoheitlicher Aufgaben reduzieren und versuchen werden, zu Kosteneinsparungen bei Personal, Räumlichkeiten und Sachmittel durch die Übertragung von Aufgaben auf Dritte zu kommen. Man wird dies erreichen wollen, indem zu einem festgesetzten Entgelt Leistungen ausgeschrieben oder freihändig vergeben werden und der Auftragnehmer sehen muss, wie er damit zurecht kommt. Es steht zu befürchten, dass die Qualität der Arbeit, die bisher auf der Basis bewährter Konzeptionen geleistet wurde, dem Spardiktat zum Opfer fällt. Die Straffälligenhilfe gerät in eine Wettbewerbssituation, die häufig, so will es der Markt, ausschließlich nach fiskalischen Argumenten entschieden wird.

Man darf gespannt sein, was letztendlich als hoheitliche Aufgabe übrigbleibt. Einerseits erscheint dieser Wechsel erfreulich, da freie Träger seit Jahren die Ineffizienz der Justiz anprangern und von daher manche Entwicklungen auch Chancen auf eine humanere oder erfolgversprechendere Ausgestaltung des Vollzugs eröffnen könnten. Andererseits impliziert die Übernahme solcher Aufgaben weitreichende Auswirkungen auf das Selbstverständnis freier Träger und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen. Nicht alles was ökonomisch reizvoll sein könnte, ist mit der Identität des Trägers und dem eigenen Leitbild als freier Straffälligenhilfe ohne Brüche zu vereinbaren.

 

Vorträge und Referate:

  • Was opfern wir dem Markt? Hintergründe und Folgen der Privatisierung
    Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
  • Mehr Markt im Sozialbereich?
    Dr. Thomas Broch
  • Staatliche Aufgaben der Straffälligenhilfe – verfassungsrechtliche Grenzen/Diskussion
    Prof. Dr. Hartmut Weber
  • Kriminalpolitische Dimension zunehmender Privatisierung aus der Sicht der Justiz
    Dr. Harald Preusker
  • Kriminalpolitische Dimension zunehmender Privatisierung aus der Sicht der Sozialarbeit
    Prof. Dr. Roland Anhorn
  • Sozialer Dienst in der JVA Bremerhaven
    Jürgen Lohse
  • Jugendstrafvollzug in freien Formen (§91 Abs. III JGG) Projekt Chance in Baden-Württemberg
    Dr. Thomas Trappper
  • Freie Straffälligenhilfe in privater Trägerschaft am Beispiel Neustart, Österreich
    Dr. Christoph Koss
  • Perspektiven und Visionen in europäischer Dimension
    Dr. Peter Best

 

Dokumentation:

Roland Anhorn / Rolf Keicher (Hrsg.): Privatisierung als Chance?: Straffälligenhilfe zwischen marktwirtschaftlicher und staatlicher Steuerung. Lambertus. 2005. ISBN-10: 378411606X, ISBN-13: 978-3784116068

 

Flyer Fachwoche 2004